Indonesiens neuer Präsident – eine Bedrohung für die Demokratie? Perspektiven aus Indonesien und Deutschland

October 2024

Liliane Danso-Dahmen

Image by Vecteezy.com/Deni Prasetya

 

Am 20. Oktober 2024 übernahm der Geschäftsmann und ehemalige General Prabowo Subianto offiziell das Amt des Präsidenten von Indonesien, dem viertbevölkerungsreichsten Land der Welt. Nach einem Erdrutschsieg bei den Wahlen im Februar, bei denen er von neun Parteien unterstützt wurde und rund 96,2 Millionen Stimmen und damit 58,6 Prozent erhielt, löste er Joko Widodo ab.

Mit Prabowo gelangt einer der reichsten Männer des Landes an die Macht. Dafür nutzte er geschickt die wirtschaftlichen und politischen Ressourcen seiner elitären Familie. Sein Sieg zeigt einmal mehr, wie eng politische und wirtschaftliche Macht im oligarchischen politischen System Indonesiens miteinander verwoben sind. Seine besondere Strategie für den Wahlsieg bestand aber auch darin, sich in der Außendarstellung des Nationalismus zu bedienen und autoritäre Züge zur Schau zu stellen, die er sich als Armeegeneral unter der Militärdiktatur Suhartos (1966–1998) angeeignet hat. Prabowos Schwiegervater ist kein Geringerer als General Suharto selbst, der in den 1960er Jahren für die Ermordung von Millionen linker Aktivist*innen verantwortlich war.

Aus dieser Zeit hat Prabowo noch Leichen im Keller. Menschenrechtsaktivist*innen werfen ihm vor, massive Menschenrechtsverletzungen gegen die linke Opposition und Zivilbevölkerung im von Indonesien besetztem Osttimor begangen zu haben. Als Befehlshaber einer Spezialeinheit der Armee war Prabowo in den letzten Jahren der Diktatur für die Entführung von studentischen Aktivist*innen verantwortlich, die sich gegen Suhartos Regime gestellt hatten.
Dutzende dieser Opfer des Regimes wurden später freigelassen, 13 Student*innen verschwanden jedoch für immer. Nach dem Niedergang der Diktaktur wurde Prabowo unehrenhaft aus dem Militär entlassen und verschwand für Jahre im Exil, wo er und seine Familie «Gras über die Sache wachsen» lassen konnten. Eine wirkliche Aufklärung und Verfolgung dieser Verbrechen fand nie statt. Als indirektes Schuldeingeständnis wird allerdings gewertet, dass Spitzenfunktionäre seiner Partei Gerindra den Familien der verschwundenen Student*innen im August 2024 eine Entschädigung von 1 Milliarde indonesischer Rupiah (rund 60.000 EUR) anboten.

Mit der Wahl von Prabowo hat sich die Mehrheit der indonesischen Wähler*innen für einen Mann entschieden, der eine aktive Rolle in der Dikatur gespielt hat. Betrachtet man das Wahlergebnis hinsichtlich der Taktiken von Kandidat*innen und Parteien, wird schnell klar, dass es sich um eine vergangenheitsvergessene und weitgehend unpolitische Wahl handelte.
Prabowo konnte die relativ junge Wählerschaft über die sozialen Medien für sich gewinnen, unter anderem mit einem viral verbreiteten Video, das ihn als eine Art indonesischen «Teletubby» darstellt. Das Bild eines liebenswerten Cartoon-Avatars dominierte die sozialen Medien und ließ seine Vergangenheit als knallharter Schwiegersohn des Diktators oder seine Funktion als General Suhartos in den Hintergrund treten.

Die reaktionären und undemokratischen Eliten der neuen Regierung Prabowo, von denen einige aus dem Militär oder der Polizei kommen, stellen eine echte Gefahr für die demokratischen Verhältnisse in Indonesien dar. Obwohl die Wahlen friedlich verliefen, waren Stimmenkauf und andere Formen des Wahlbetrugs weit verbreitet. Die Unterdrückung kritischer Stimmen hat in Indonesien eine lange Tradition, dennoch bezeichneten viele Beobachter*innen die Wahl 2024 als die am stärksten im Vorfeld manipulierte Wahl seit dem Sturz der Diktatur. Laut Berichten von Menschenrechtsbeobachter*innen wurden in der Ära Widodo 1.019 Angriffe auf und Drohungen gegen 5.475 Aktivist*innen der Zivilgesellschaft verzeichnet. Die meisten standen im Zusammenhang mit dem Engagement von Menschenrechtsverteidiger*innen für das so genannte Arbeitsbeschaffungsgesetz oder mit einer fragwürdigen Entscheidung des Verfassungsgerichts vom Oktober 2023. Diese Entscheidung erlaubte Präsident Widodos Sohn Gibran, für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren (unter Prabowo als Präsident wohlgemerkt), obwohl dieser das Mindestalter von 40 Jahren noch nicht erreicht hatte. Das Urteil wurde vom Schwager des Präsidenten, dem damaligen obersten Richter des Verfassungsgerichts, Anwar Usman, durchgesetzt.

Im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl und der Amtseinführung Prabowos gibt es weitere Anzeichen für den Niedergang der Demokratie. Seine Strategie, die Eliten flächendeckend in wichtigen staatlichen Institutionen und damit in seine Regierung einzubinden, ist aufgegangen. Von den neun im Parlament vertretenen Parteien haben sich bereits acht seiner Koalition angeschlossen, die neunte Partei erwägt ebenfalls einen Beitritt. Damit ist eine politische Opposition im Parlament ausgeschlossen.

Im Vorfeld von Prabowos Amtsantritt wurden mehrfach Demonstrationen und kritische Diskussionen aufgelöst sowie die Büros mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen angegriffen. Diese Angriffe wurden nicht nur von Staatsbediensteten, sondern auch von bezahlten Schläger*innen verübt. Ein weiteres Mittel, um kritische Stimmen in Indonesien zum Schweigen zu bringen, ist die Kriminalisierung von Aktivist*innen mithilfe des Gesetzes für «Elektronische Informationen und Transaktionen». Insbesondere Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für einen sozial-ökologischen Umbau und für Alternativen zum derzeitigen neoliberalen Kurs einsetzen, riskieren ihr Leben und Wohlergehen.

Prabowo wird als Präsident keine Änderung der ungerechten Wirtschaftsordnung herbeiführen. Er hat bereits deutlich gemacht, dass er die unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik seines Vorgängers fortsetzen wird. Das Land ist durch ein kapitalistisches Wirtschaftssystem geprägt. Es gibt zwar staatliche Unternehmen. Diese werden aber von Oligarch*innen und politischen Eliten nicht im Interesse der einfachen Menschen geführt. Weil Prabowo Teil dieser oligarchischen Elite zugehörig ist, unterstützten die meisten indonesischen Gewerkschaften und die Arbeiterpartei (Partai Buruh) Prabowos Kampagne nicht. Wenige Wochen vor seinem Amtsantritt änderte die Arbeiterpartei jedoch ihre Haltung. Der Parteivorsitzende Said Iqbal forderte im Zuge dessen den künftigen Präsidenten auf, Lohnerhöhungen durchzusetzen und das Outsourcing-System privater und staatlicher Unternehmen abzuschaffen. Außerdem müsse das von Widodo eingeführte «Arbeitsbeschaffungsgesetz», das die Menschenrechte der Arbeiterklasse untergräbt, zurückgenommen werden. Obwohl die Arbeiterpartei schließlich ihre Unterstützung für die Regierung Prabowo zum Ausdruck brachte, ist es sehr unwahrscheinlich, dass seine Regierung diesen Forderungen nachkommen wird.

Im Gegenteil, Prabowo wird voraussichtlich keine wesentlichen Änderungen an der herrschenden Klassenpolitik vornehmen. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Ex-General den Militäretat erhöhen wird, während für Armutsbekämpfung und den von der Arbeiter*innenschaft erhofften Aufbau eines Sozialstaates keine Mittel bereitgestellt werden dürften.
Warum ist es den linken und progressiven Kräfte der indonesischen Zivilgesellschaft nicht gelungen, vor und nach der Wahl des Ex-Generals ein anderes Narrativ zu etablieren? Und wie lässt sich erklären, dass die Arbeiter*innenklasse für einen Kandidaten gestimmt hat, dessen Klasse gegen sie arbeitet?

Diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man die historischen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen Indonesiens sowie den geopolitischen Kontext betrachtet. Bei aller Komplexität, gibt es hinsichtlich des erstarkenden Autoritarismus jedoch ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern.

Die Parallelen zu den philippinischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2022, bei denen sich eine große Mehrheit der Wählerschaft für Ferdinand Marcos Junior entschied, sind offensichtlich. Aber nicht nur in Südostasien und auf den Philippinen, sondern weltweit ist ein Trend zu autoritären Machthaber*innen und ihren Parteien bei Wahlen zu beobachten.

Obwohl die historischen Zusammenhänge gut bekannt sind, scheinen sie keinen großen Einfluss auf die Entscheidungen der Wähler*innen zu haben. Die Menschen sind bereit, die Vergangenheit zu vergessen. Die Bedeutung der Integrität von Kandidat*innen scheint abzunehmen. Vor den Europawahlen hatten beispielsweise Korruptionsfälle, in die rechtsextreme Kandidat*innen verwickelt waren, kaum negative Auswirkungen auf deren Wahlergebnisse. Im Gegenteil, ein in Bestechungsskandale verwickelter EU-Kandidat der rechtsextremen Alternative für Deutschland war im Wahlkampf für Kandidat*innen seiner Partei vor der Landtagswahl in Brandenburg immer noch mehr als erfolgreich.

Ungeachtet der komplexen Situation in den einzelnen Ländern besteht eine weitere Parallele darin, dass all dies unter dem Primat eines neoliberalen Wirtschaftsmodells in Gesellschaft und Politik stattfindet. Die Dominanz des Neoliberalismus ist zudem verbunden mit der systematischen Abwertung von gesellschaftlichen Akteuren, die sich um eine alternative Entwicklung bemühen, seitens rechter und konservativer Kräfte. So beschuldigten bekannte Parliamentarier*innen die Partei der Grünen und Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die «wahren Schuldigen» hinter Missständen wie steigenden Energiepreisen, Inflation und Krieg zu sein.

Auch in Indonesien werden zivilgesellschaftliche Akteure, die für Veränderungen des bestehenden Systems kämpfen, regelmäßig für Armut und Stagnation im Land verantwortlich gemacht. Progressive Kräfte werden an den Rand gedrängt und es gelingt ihnen nicht, ein Gegennarrativ zu erzählen. Es sollte jedoch alarmieren, wie effektiv rechtsextreme und autoritäre Akteure politische Prozesse nutzen können, um eine repressive und autoritäre Ordnung auf der Grundlage neoliberaler Politik zu etablieren – und das nicht nur in Indonesien. Um diese Entwicklungen in Deutschland, Indonesien und anderswo zu bekämpfen, brauchen wir gute Analysen und Kooperation unter linken Kräften. Und wir müssen uns dabei für eine globale Solidarität einsetzen!

*This article was co-authored by an activist for human rights from Indonesia.

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